dinsdag, maart 09, 2010

Papstbruder Georg Ratzinger (86) distanziert sich von den früheren Prügel-Praktiken in der Internatsvorschule der Domspatzen

09.03.2010
Passauer Neue Presse

„Ausmaß dieser Methoden war mir unbekannt“

Regensburg. Georg Ratzinger, Regensburger Domkapellmeister von 1964 bis 1994, hat im PNP-Interview unterstrichen, dass er von den bekannt gewordenen Fällen sexuellen Missbrauchs bei den Regensburger Domspatzen nichts wusste. Gleichzeitig distanzierte er sich von pädagogischen Übergriffen, die dem früheren Direktor der Internatsvorschule der Domspatzen vorgeworfen werden. Dieser Geistliche, der im Interview aus rechtlichen Gründen als Johann M. abgekürzt wird, ist bereits 1992 gestorben.

Herr Domkapellmeister, wie haben Sie die Berichte über sexuelle Missbrauchsfälle bei den Domspatzen aufgenommen?
Georg Ratzinger: Zunächst war da das Moment der Überraschung, denn diese Fälle aus den späten 50er und frühen 60er Jahren gehören ja einer weit entfernten Vergangenheit an. Dann entstand bei mir natürlich auch eine gewisse Unruhe über die Frage, ob diese Geschehnisse die unmittelbare Gegenwart der Domspatzen negativ beeinflussen können. Leid getan haben mir die betroffenen Opfer, deren körperliche und seelische Integrität verletzt wurde.

Sie haben in ersten Stellungnahmen betont, Sie hätten nichts von den Missbrauchsfällen gewusst. Gab es 1964 nach Ihrem Dienstantritt nicht Gerüchte?
Ratzinger: Bei uns im Haus ist über diese Dinge nie gesprochen worden. Am Anfang meiner Amtszeit gab es vielfältige Probleme der chorischen Neuorganisation, die ganz im Mittelpunkt des Interesses standen. Nein, das jetzt bekannt gewordene Problem sexuellen Missbrauchs ist nie zur Sprache gekommen.

Glauben Sie, dass der Ruf der Domspatzen durch die Missbrauchsfälle nun einen Schaden erleidet?
Ratzinger: Einen ernsthaften Schaden sicher nicht. Es kann sein, dass vielleicht einzelne besorgte Eltern diese Ereignisse in ihre Überlegungen einbeziehen, aber an einen größeren Schaden glaube ich nicht.

„Die körperliche und seelische Integrität der Opfer wurde verletzt“

Neben sexuellem Missbrauch geht es auch um die frühere Prügel-Pädagogik an katholischen Schulen. Was waren damals die Gründe für eine solch übertriebene Härte?
Ratzinger: Die Ohrfeige vor allem war damals die nächstgelegene Reaktion auf eine negative Leistung oder ein Versagen. Das war von der Heftigkeit her sehr verschieden - je nach dem Charakter des Vorgesetzten. Der eine hat härter reagiert, der andere weniger hart, und wieder andere waren ganz unempfindlich und haben sogar eine gewisse Rauheit an den Tag gelegt. Manchmal hat auch Nervosität eine Rolle gespielt, wenn sehr viele Kinder auf einmal da waren.

Auch was die Internatsvorschule der Domspatzen in Etterzhausen und später in Pielenhofen betrifft, gibt es Klagen über sehr heftige Schläge und Prügel durch Vorgesetzte - etwa durch den früheren Internatsdirektor Johann M. Was sagen Sie heute dazu?
Ratzinger: Heute urteilt man da natürlich völlig anders. Jede brachiale Vorgehensweise wird zurecht als schrecklich empfunden. Auch ich würde die Sache heute anders beurteilen. Was nun die Internatsvorschule der Domspatzen betrifft, muss ich sagen: Die Internatsvorschule war eine völlig selbständige Institution, die von meinem Vorgänger, Domkapellmeister Theobald Schrems, auch bewusst so geschaffen wurde, damit das Haus in Regensburg dort nicht hineinregieren konnte. Direktor M. war eine sehr selbstbewusste und intensive Persönlichkeit - der hätte es sich nie gefallen lassen, wenn man da hineinregiert hätte.

Was war Ihnen denn vom Ausmaß der Prügelstrafen in der Internatsvorschule persönlich bekannt?
Ratzinger: Mir war bekannt, dass Direktor M. sehr heftige Ohrfeigen verteilt hat. Auch, dass er diese Ohrfeigen oft aus nichtigen Anlässen verteilt hat. Aber wie gesagt, er war eine selbständige Institution, und ich war im Haus ja nicht die absolute Spitze, die das revidieren hätte können. Die erste Zeit war ich nicht einmal Leiter der Stiftung Regensburger Domspatzen - bis 1970 hat diese Funktion der Schulleiter des Musikgymnasiums in Regensburg ausgeübt. Ich war praktisch ein König ohne Reich und hatte nicht diese dominierende Stellung im Haus, wie ich sie dann am Schluss zugegebenermaßen gehabt habe.

Direktor Johann M. war 1953 bis 1992 im Amt, wobei es offenbar auch in den letzten Jahren seiner Amtszeit noch solche pädagogischen Übergriffe gab. Hätten Sie denn damals die Möglichkeit gehabt, gegen M. einzuschreiten?
Ratzinger: Ich alleine nicht. Das hätte ich dem Direktorium der Domspatzen-Stiftung mitteilen müssen, das dann hätte einschreiten können. Und selbst in diesem Fall hätte der Direktor der Internatsvorschule sagen können: „Das geht euch nichts an.“ Direktor M. hat dann 1992 übrigens seinen Abschied genommen, weil seine rauen pädagogischen Methoden damals von der Presse aufgegriffen wurden. Deshalb ist er früher in Pension gegangen, als er eigentlich wollte.

Wenn Sie heute davon hören, dass Buben grün und blau geschlagen wurden, wofür es ja Beispiele gibt: Bedauern Sie aus heutiger Sicht, dass das geschehen konnte?
Ratzinger: Schüler haben mir auf Konzertreisen erzählt, wie es ihnen in Etterzhausen ergangen ist. Aber ihre Berichte sind bei mir nicht so angekommen, dass ich glaubte, etwas unternehmen zu müssen. Das Ausmaß dieser brachialen Methoden von Direktor M. war mir nicht bekannt. Wenn ich gewusst hätte, mit welch übertriebener Heftigkeit er vorging, dann hätte ich etwas gesagt. Natürlich - heute verurteilt man es umso mehr, als man sensibler geworden ist. Auch ich tue das. Gleichzeitig bitte ich die Opfer um Verzeihung.

Haben Sie selbst und Ihr Bruder Joseph als Kind unter Schlägen von Erziehern zu leiden gehabt?
Ratzinger: Ich habe einmal eine Watsche bekommen, ja. Ein Musikpräfekt, der an diesem Tag die Unterstufe betreut hat - ich war noch bei den Kleinen -, wollte mein Harmonielehreheft sehen. Ich habe, ohne genau hinzusehen, in mein Pult hineingelangt und ihm das nächstgelegene Heft gegeben. Er schaut es sich an, wirft es wutentbrannt vor mich hin und gibt mir „a gscheide Watschn“. Ich habe damals nämlich schon komponiert und im Eifer des Gefechts das Heft mit der Komposition erwischt. Das hat ihn so geärgert, dass er mir die erwähnte Ohrfeige gegeben hat. Aber sonst kann ich mich nicht an Schläge erinnern.

Und wie war es bei Ihrem Bruder?
Ratzinger: Mein Bruder ist später als ich, erst in der siebten Klasse, ins Seminar gekommen. Ich glaube, bei dieser Altersgruppe waren die Erzieher schon vorsichtiger. Außerdem hat mein Bruder auch keinen Anlass dazu gegeben.

„Am Anfang habe auch ich wiederholt Ohrfeigen verteilt“

Sie selbst galten in Ihrer Zeit als Domkapellmeister als beliebter, aber doch auch strenger Chorleiter. Wie hat sich diese Strenge geäußert und wo hatte sie ihre Grenzen?
Ratzinger: Ich muss gestehen, dass ich mich auf jede Chorprobe gefreut habe. Aber oft bin ich dann wieder recht depressiv rausgegangen, weil ich einfach das nicht hingebracht hatte, was ich wollte. Und ich habe am Anfang wiederholt auch Ohrfeigen ausgeteilt, aber eigentlich immer ein schlechtes Gewissen dabei gehabt. Ich war dann froh, als 1980 körperliche Züchtigungen vom Gesetzgeber ganz verboten wurden. Daran habe ich mich striktissime gehalten, und ich war innerlich erleichtert. Früher waren Ohrfeigen einfach die Reaktionsweise auf Verfehlungen oder bewusste Leistungsverweigerung. Ich finde es eine gute Entwicklung, dass der Verzicht auf Ohrfeigen eine durchgehende Erkenntnis wurde.

Ich habe auch nach den Grenzen Ihrer Strenge gefragt. Haben Sie jemals einen Buben grün und blau geschlagen?
Ratzinger: Das hätte ich nie getan.

Was können kirchliche Einrichtungen, was kann die Kirche als Ganzes tun, um das Problem von Missbrauch und Gewalt glaubwürdig aufzuarbeiten?
Ratzinger: Es gibt keine andere Möglichkeit, als das Problem schon im Vorfeld so zu behandeln, dass jedem klar wird: Wer einen Menschen zu zerbrechen versucht, der begeht ein großes Unrecht. Dafür muss in der Erziehung und im Unterricht immer wieder neu Überzeugungsarbeit geleistet werden. Es kommt darauf an, die Ehrfurcht vor der Integrität eines Menschen, den Respekt vor ihm hochzuhalten und zu vermitteln, so dass das ungezügelte Temperament beherrscht werden kann.

Warum hat man in der Kirche so lange über diese Dinge geschwiegen?

Ratzinger: Ich glaube, es ist nicht nur die Kirche, die geschwiegen hat. Es war in der Gesellschaft überhaupt so. Man wollte diese Dinge, die man selber durchaus verurteilt hat, nicht breittreten.

Was kann Ihr Bruder, der Papst, tun, um den Opfern und der katholischen Kirche in Deutschland bei der Bewältigung der Missbrauchsaffäre zu helfen?

Ratzinger: Er kann nur die Verantwortlichen der einzelnen Länder _ also auch Deutschlands - ansprechen und mit ihnen eine klare Verurteilung aller Missbrauchsfälle formulieren. Darüber hinaus kann er dazu ermahnen, den Weg des Respekts und der Ehrfurcht vor der menschlichen Integrität konsequent zu gehen. Der Heilige Vater gehört durch seine jahrzehntelange Nähe in gewisser Weise zur Domspatzenfamilie. Glauben Sie, dass ihn die Verwicklung der Domspatzen in die Missbrauchsaffäre besonders berührt?

Ratzinger: Der Papst fühlt sich allen Opfern nahe. Aber bei den Domspatzen kommt in der Tat ein fast familiärer Aspekt hinzu.

Interview: Karl Birkenseer

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