intervieuw Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
15.02.2009 dankzij blogger
Professor Spaemann, Exkommunikation war bis vor kurzem fast ein Makel auf dem Gewand der Kirche, oder?
Ja. Wenngleich man sagen muß, daß die Kirche von den Tagen der Apostel an das Recht beansprucht hat, Mitglieder zur Strafe aus der christlichen Gemeinde auszuschließen. Das bedeutete nicht, daß der Exkommunizierte nicht mehr zur Kirche gehörte, denn nach katholischem Verständnis kann man gar nicht aufhören, zur Kirche zu gehören, wenn man ihr einmal angehört hat. Die Kirche ist keine Partei und kein Verein, sondern ein Volk. Aber man kann dadurch bestraft werden, daß man nicht mehr zu den Sakramenten gehen darf: daß man nicht mehr seine Sünden beichten und die Lossprechung empfangen darf, nicht zur Kommunion gehen und im Sterben nicht mehr die Sakramente empfangen darf. Das heißt Exkommunikation - und das ist für einen Katholiken die schlimmste Strafe.
Auch Nichtkatholiken fordern, die zurückgenommene Exkommunikation der Bischöfe gegen mindestens einen von ihnen abermals zu verhängen.
Im Recht der katholischen Kirche gibt es keinen Strafbetand der Leugnung eines Massenmordes. Bischof Williamson isoliert sich selbst, wenn er so etwas sagt. Er kann nicht das Amt eines Bischofs bekleiden und kann nicht als solcher reden. Insofern hat der Münchner Erzbishcof Marx recht, wenn er sagt, es ist kein Platz für Holocaust-Leugner in der Kirche. Korrekt ist dieser Satz nicht. Marx müßte sagen: Es gibt für die Holocaust-Leugnung keinen Platz in der Kirche. Das heißt, die Kirche kann diese Position nicht akzeptieren als irgendeine, die man in ihr vertreten kann. Aber die Person, die dieser irrigen Überzeugung ist, die kann man nicht einfach exkommunizieren. Die Kirche ist auch ein Rechtssystem. Das funktioniert nicht wie eine politische Partei, die einfach sagt: Der ist uns lästig geworden, den schmeißen wir raus.
Ist unsere Gesellschaft insgesamt eher zu diesem Schritt der sozialen Ausgrenzung bereit? Sind wir weniger tolerant als früher?
Eindeutig. Wir sind heute an Exkommunikationen gewöhnt in unserer politischen Gesellschaft. Leider ist das so, daß sich das gesteigert hat. In den fünfziger Jahren etwa gab es solche Exkommunikationen eigentlich noch gar nicht. Vor allem in deren zweiter Hälfte war nach meinem Erleben die Meinungsfreiheit in unserem Land die größte. Sie konnten Stalinist sein, Sie konnten marxistische Überzeugungen vertreten, sie konnten fast alle Meinungen äußern - auch über das Verhältnis zu den Juden. Der gigantische Judenmord während des Nationalsozialismus war ja bekannt, und das Bewußtsein der kollektiven Verantwortung bildete eine der Grundlagen der deutschen Politik. Aber nicht so, daß ständig jeder nervös sein und sich fragen mußte: Darfst du auch Kritik am Staat Israel üben? Was darfst du sagen, was nicht? Man durfte fast alles sagen.
Beschränkt sich die Bereitschaft, sozial und kommunikativ auszugrenzen, heute auf die Leugnung des Judenmordes?
Überhaupt nicht. Nehmen sie zum Beispiel die Homosexualität. Ob es sich um ein pathologisches Phänumen handelt oder nicht, darüber sollte man streiten können. Aber wenn Sie die traditionelle Auffassung vertreten, die bis vor wenigen Jahrzehnten allgemein war, dann können Sie sich das kaum leisten, wenn Sie nicht ein ganz unabhängiger Mensch sind.
Warum entwickelt eine Gesellschaft, die sich so viel auf ihre Freiheitlichkeit zugutehält, zugleich solche Intoleranz?
Es klingt paradox, aber ich meine, es hat etwas zu tun mit dem sich ausbreitenden radikalen Relativismus. Dort, wo man denkt, daß Wahrheit erreichbar ist für den Menschen, da gibt es einen Kampf der Meinungen, aber alle wollen das eine Ziel: Sie wollen wissen, wie es wirklich ist. In einer radikal relativistischen Gesellschaft gibt es dagegen nicht mehr das Moment der Regulation durch die Wahrheitsidee, sondern nur noch die Regulation durch das Konventionelle, das auch im Interesse derer ist, die grade die Macht haben.
Im Meinungskampf herrscht das Recht des Stärkeren?
Ja, Das Wahrheitskriterium hat da gar nichts mehr verloren. Nicht, ob etwas wahr ist, interessiert, sondern ob man es sagen darf.
Bei den Lefebvre-Bischöfen bezog sich die Exkommunikation nicht darauf, daß jemand den Holocaust geleugnet hätte. Sie haben sich selbst exkommuniziert, indem sie sich 1988 widerrechtlich zu Bischöfen weihen ließen.
Wie die chinesischen Bischöfe der Patriotischen Vereinigung, die sich ebenfalls ohne päpstlichen Auftrag zu Bischöfen haben weihen lassen. Auch sie waren damit exkommuniziert. Der Papst hat sich ihnen gegenüber genauso verhalten wie gegenüber den Bischöfen der Pius-Bruderschaft: Wenn sie ihn gebeten haben, die Exkommunikation aufzuheben, dann hat er das fast in allen Fällen getan.
Die Lefebvre-Bewegung hat aber nicht erst durch die Weihe von vier Bischöfen mit der Kirche gebrochen. Sie leugnen immer den Anspruch des Zweiten Vatikanischen Konzils, den Glauben der Kirche als für die Gegenwart verbindlich auszulegen.
Die Pius-Bruderschaft vertritt keinen Irrationalismus. Aber ihre Definition dessen, was vernünfitg ist, ist eine äußerst beschränkte. Vor allen Dingen haben sie nicht verstanden, daß das Ringen um das Vernünftige immer nur in einem Medium der Freiheit geschehen kann. Der Knackpunkt liegt meiner Ansicht - abgesehen von der Liturgie, wo der Papst ihnen ja aus vollem Herzen entgegengekommen ist, weil er der Meinung ist, daß die alte Liturgie nicht einfach verboten gehört - in der Erklärung des Konzils über die Religionsfreiheit. Sie ist der größte Stein des Anstoßes, deswegen müssen die Gespräche, die jetzt bevorstehen, sich darauf beziehen.
Hat das Konzil mit der Tradition der Kirche gebrochen?
Viele sehen in dem Konzil einen Bruch. So wie mein Freund Ernst Wolfgang Böckenförde, der diesen Bruch als Bruch mit der Tradition verteidigt hat. Das sehen die Lefebvrianer ebenso. Wenn es einen Bruch gibt, sagen sie, dann muß man immer auf der Seite der Tradition stehen. Dazwischen gibt es die Leute, wie damals die Konzilsväter, die sagten, daß sich Altes und Neues gut miteinander verbinden lasse. Aber damals haben sie sich nicht genug Mühe gemacht. Sie haben die Vereinbarkeit behauptet, aber nicht gezeigt. Es gibt in Frankreich heute eindrucksvolle Versuche, das nachzuholen. Man muß heute auf diesem Weg gehen, denn die These vom Bruch ist so oder so problematisch. Vor allem stärkt sie die Lefebvrianer.
Sie sprachen oft mit Josepf Ratzinger über solche Fragen. Wie denkt der Papst darüber?
Er tut etwas, was ganz quer liegt zu dem Konzept der Pius-Bruderschaft und was ihm eigentlich die größten Schwierigkeiten macht: Er betont die Kontinuität. Er sagt, man muß das Zweite Vatikanische Konzil als ein gültiges, legitimes Konzil betrachten und es akzeptieren, nicht nur widerwillig. Aber es ist nur eines unter vielen Konzilen in der Geschichte der Kirche. Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat ja keine neue Kirche begonnen. Daher ist die unterscheidung "vorkonziliar" gegen "nachkonziliar" von Übel. Die muß irgendwann zu den Akten gelegt werden. Aber genau von dieser Unterscheidung leben die Lefebvrianer.
Was sich jetzt abgespielt hat, scheint eher geeignet, die These des Bruchs zu beleben.
Leider ja. Dabei wollte der Papst genau das Gegenteil bewirken und in seiner Verantwortung als Hirte verhindern, daß diese Leute weiter ins Abseits driften und mit vier Bischöfen langsam eine richtige Gegenkirche aufbauen. Genau wie in China. Benedikt will als Papst in die Geschichte eingehen, der Schismen aufhebt und nicht vertieft. Und genau darin ist man ihm mit einer beispielosen Medienkampagne in die Quere gekommen und redet davon, er umarme die Traditionalisten und gehe rückwärts anstatt vorwärts.
Nun kündigen die vier Bischöfe an, weiterzumachen wie bisher, bald neue Priester zu weihen. Ist das ein Zeichen von Reue oder Dankbrkeit gegenüber dem Papst?
Der Papst hat gut daran getan, den Bischöfen nicht zu befehlen, von heute auf morgen aufzuhören, Priester zu weihen, So war es auch bei den chinesischen Bischöfen. Auch die vier Lefebvre-Bischöfe haben nicht bereut, zu Bischöfen geweiht worden zu sein. Sie haben den Papst gebeten, sie trotzdem wieder aufzunehmen. Und sie haben gesagt: Erst, wenn die Exkommunikation aufgehoben ist, können wir über unseren Status in dieser Kirche reden.
Die vier Bischöfe diktiren dem Oberhaupt von mehr als einer Miliarde Katholiken Bedingungen, damit sie mit ihm sprechen?
Der Papst hat eine große Vorleistung erbracht, ohne jeden Zweifel. Er hat als Christ etwas, was nicht unbedingt allgemeine Anerkennung findet: Ein tiefes Vertrauen in die Macht der Liebe, die die Verhärtung aufbrechen kann, die notwendigerweise eintritt, wenn Leute lange genug in einem Sektengetto leben. Man sieht das doch an der Petrus-Bruderschaft, die sich 1988 von der Pius-Bruderschaft getrennt hat. Sie ist mittlerweile voll in der Kirche integriert, wird aber immer noch unwürdig schlecht von den Bischöfen behandelt.
Manche Katholiken haben den Eindruck, daß der Papst auf der "rechten" Seite des kirchlich-politisch-theologischen Spektrums relativ großzügig ist, mit vielen Vertretern der lateinamerikanischen Befreiungstheologie viel härter umgegangen wurde und wird.
Kein Anhänger der Befreiungstheologie ist je exkommuniziert worden.
Aber es gibt bis in die jüngste Vergangenheit Lehrbeanstandungsverfahren und Bußschweigen.
Gott sei Dank gibt es in der Kirche noch andere kanonische Strafen als die Exkommunikation. Wo es um die Lehre der Kirche geht, kann Rom natürlich nicht zuschauen, daß etwas als katholische Lehre gelehrt wird, was die Kirche als solche nicht akzeptieren kann. Übrigens hat ja auch dieser Bischof Wiliamson jetzt sofort sein Amt als Leiter eines Priesterseminars verloren. Er hat künftig über alles Politische zu schweigen. Das ist in Ordnung. Das wird nach links und rechts praktiziert.
Sie haben gesagt, der Papst vertraue auf die Macht der Liebe. Die Folge sind Zorn, Haß, Furor.
Ja. Impugnabant me gratis, heißt es in einem Psalm. Sie haben mich wegen nichts, sie haben mich grundlos verfolgt
[Psalm 120 (119). In der 'offiziellen' Übersetzung wird der 'wegen nichts'-Aspekt auch, aber schwächer deutlich: "... dann suchen sie Hader und Streit."].
Wo Haß aufbricht, da stimmt etwas nicht. Und bloß, weil der Papst etwas tut, was im Evangelium als Kennzeichen des guten Hirten verstanden wird, nämlich daß er 99 Schafe im Schafstall läßt und dem einen nachgeht, um das auch wieder zurückzuholen, das wird ihm jetzt vorgeworfen.
Da kann er nur sagen: Ich tue, was Jesus gesagt hat, was der gute Hirte tun soll.
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