21.12.2010
Tissy BrunsDer Tagespiegel
Tissy BrunsDer Tagespiegel
Drei bittere Wahrheiten nehmen wir aus diesem Jahr mit: Sexuelle Gewalt gegen Kinder lauert gerade dort, wo sie auf Schutz vertrauen. Institutionen, in denen Missbrauch stattfindet, neigen zum Vertuschen, die Gesellschaft will vergessen.
Sexuelle Gewalt gegen Kinder findet in der Gesellschaft, gerade dort statt, wo sie auf Schutz vertrauen, in Familien, Schulen, Vereinen, Kirchen. Institutionen, in denen Missbrauch stattfindet, neigen zum Vertuschen. Und die Gesellschaft, die davon erfährt, erschrickt, mit einer Hilflosigkeit, die zum Vergessen drängt.
Bereits in den 80er und 90er Jahren war sexueller Missbrauch ein öffentliches Thema. Dass hermetische, autoritäre Männerwelten Kinderschänder anziehen, wusste selbst die katholische Kirche damals schon. Als Deckmantel für den Machtmissbrauch an Schutzbefohlenen taugt aber, wie wir jetzt unwiderruflich wissen, jedes Besonderheitsbewusstsein, auch das reformpädagogischer Internate.
In beiden Welten wurden Täter noch gedeckt und Missbrauchsverbrechen vertuscht, die in der Zeit dieser Aufklärung von Betroffenen angeklagt worden sind. Denn die liberale Öffentlichkeit wollte den Ruf der emanzipatorischen Einrichtungen und die konservative den der ehrwürdigen kirchlichen nicht riskieren. Deren Ansehen war wichtiger als die Kinder und Heranwachsenden, deren Vertrauen in diese Institutionen fürchterlich missbraucht worden ist.
Kinder zuerst! Nicht vergessen! Das ist die Lehre und die Hoffnung am Ende dieses Jahres. Über 8000 Menschen, der Jüngste acht Jahre alt, die Älteste über 80, haben sich in wenigen Monaten gemeldet, nachdem im Frühjahr die Unabhängige Beauftragte als Anlaufstelle eingerichtet worden ist. Um die Jesuitenschulen, das Odenwald-Internat bildeten sich Eckige Tische und Aufarbeitungskommissionen. Der Odenwald-Bericht schockiert schon mit der Zahl der Fälle; unfassbar ist die Haltung von Lichtgestalten der Reformpädagogik wie Hartmut von Hentig.
Entsetzt sind viele Katholiken; in Augsburg, wo ein Bischof gehen musste, weil er Heimkinder geohrfeigt hat, verlassen sie zu Tausenden ihre Kirche. Wenig ist bisher geschehen zur Entschädigung der Opfer. Die Versöhnung ist nicht möglich, die der mutige Pater Klaus Mertes anstrebt, der am Berliner Canisius-Kolleg die Welle der Wahrheit ausgelöst hat.
Mutiger noch sind die Opfer, deren Eltern und Fürsprecher, die über ihre Erlebnisse gesprochen haben. Oft genug wird die Erleichterung, die Genugtuung, dass man ihnen endlich glaubt, begleitet und überlagert von Retraumatisierungen, die schmerzen. Denn Missbrauch ist eine fundamentale Verletzung. „Kafkaesk“ hat ein Vater die Berichte zusammengefasst, die am Runden Tisch Missbrauch von Betroffenen vorgetragen worden sind. Untrennbar verbunden ist die sexuelle mit einer psychischen Gewalt, die das Opfer in Schweigemauern zwingt, sein Gefühl für Recht und Unrecht irritiert, Mitschuld suggeriert, das Vertrauen in sich selbst und andere zerstört. Die Macht der Täter ist die Ohnmacht der Opfer, die für ihr Leben gezeichnet sind und manchmal selbst zu Tätern werden.
Im kommenden Frühjahr will der Runde Tisch Missbrauch Vorschläge zu Entschädigung, Strafrechtsreformen und Prävention vorlegen. Es ist fraglich, wie groß das öffentliche Interesse dann noch sein wird. Deshalb müssen Konsequenzen endlich institutionalisiert werden. Welche? Das Mindestmaß sind die Verlängerung der Verjährungsfristen und die Schaffung einer unabhängigen Institution, an die Kinder sich wenden können, wenn sie in den Machtverhältnissen von Familien oder Erziehungseinrichtungen missbraucht werden.
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