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Stand: 20.01.2012
Bundeskinderschutzgesetz
Stellungnahme zum neuen Bundeskinderschutzgesetz und zur Anzeigenpflicht
Das neue Bundeskinderschutzgesetz hat lange auf sich warten lassen. Was letztlich nun nach jahrelanger Debatte herausgekommen ist, weist immer noch den mangelnden Willen zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt bei Kindern auf. Als Beispiel hierfür können die Resultate des Gesetzes für behinderte Kinder betrachtet werden. Statt einer ursprünglich angedachten Meldepflicht bei Verdachtsfällen auf Kindesgefährdung gibt es nun eine Art Empfehlung, Beratung bei einer unabhängigen Fachkraft des Jugendamtes anzunehmen. Die Paragraphen, die eine Verpflichtung zum Handeln vorsahen, sind nach endlosen Beratungen und Überarbeitungen schlicht weggelassen und zu einer unverbindlichen Gesetzesformel aufgeweicht worden. Grundsätzliche Probleme beim Kinderschutz geht der Gesetzgeber mit dem pompös klingenden Bundeskinderschutzgesetz nicht an. Vielmehr bleibt die notwendige Verantwortungsübernahme des Staates, seiner Institutionen und Mitarbeiter aus. Jeder, der daher von Straftaten in Institutionen weiß, ist nicht gleichzeitig verpflichtet, Verdachtsfälle zu melden. Dies begünstigt By-Stander-Effekte, dem tatenlosen Zusehen, da jeder hofft, ein anderer greift ein. Das neue Gesetz entpuppt sich somit nicht nur als zahnloser Tiger, sondern erweist sich als Täterschutz, welches Sozialstrukturen, die sexualisierte Gewalt ermöglichen, weiterhin begünstigt.
Opferverbände sprechen sich am Runden Tisch gegen eine Meldepflicht aus
Unserer Ansicht sind diese untragbare Nachlässigkeiten auch auf ungünstige, soziale Prozesse zurückzuführen. Auffällig ist so zum Beispiel, dass vor allem Opferverbände sich gegen eine Meldepflicht bei sexualisierter Gewalt aussprechen. Nach ihrer Argumentation würde das abzusehende Chaos einer Meldepflicht das Vertrauen in viele Institutionen beschädigen und letztlich für Kinder die Situation zunächst verschlimmern. Wie hingegen glauben: Das bevorstehende Chaos ist ein notwendiges Chaos, um eingewachsene und falsche Strukturen zu beseitigen. Dieses betrifft auch die Restrukturierung gegenwärtiger Opferverbände. Hierin aber zeigt sich sogleich das soziale Dilemma: Opferschutzorganisation können ab einem gewissen Punkt ihrer Integration in politische Prozesse nicht mehr das Richtige fordern, da sie so gezwungen wären gegen sich selbst zu arbeiten. So wäre beispielsweise eine zentrale Organisation von Nöten (dies könnte ein reformiertes Jugendamt sein), das bevorstehende Chaos in den Griff zu bekommen. Damit jedoch müssten regionale Strukturen aufgebrochen werden und es würden schließlich Aufgabenbereiche regionaler Opfervereine in Frage gestellt werden. Unglücklicherweise geht es auch hier um Geld. Zusammenarbeit zwischen den Behörden, wie es bei anderen Vergehen und Verbrechen Gang und Gäbe ist, wird hier also verhindert, obwohl diese unumgänglich ist, so darf beispielsweise ein Betroffener nicht vom Glück einer guten Institutionenstruktur in seiner Stadt oder seinem Bundesland abhängig sein. Dies bedeutet aber schmerzhafte Umstrukturierungen für Opferschutzverbände.
Gefährdung der Betroffenenvereine
Ein radikales Umdenken gefährdet also die sozialen Vereine in ihrem Bestand und ihrer Legitimation. Zusammenarbeit müsste vereinbart werden, Menschen müssten sich in erster Linie verstehen wollen und auch bereit sein, aufgrund der Neuaufteilung von Arbeitsbereichen ihren Arbeitsplatz für die Sache aufzugeben. Dieses soziale Dilemma ist sicher ein Grund, warum wirtschaftlich abhängige Vereine für radikales Denken nicht eintreten können. Die Gründe dafür, dass eine Meldepflicht nicht in Angriff genommen wird, sind daher auch immer in ungünstigen Sozialstrukturen zu suchen.
netzwerkB will mehr als nur eine Meldepflicht
Kann das zu erwartende Chaos also zentrales Argument sein, warum eine Meldepflicht in Deutschland nicht existieren darf? Wenn klar ist, dass zehntausende Kinder in Deutschland unter unhaltbaren Bedingungen groß werden, dann muss sich etwas ändern. Bei netzwerkB als wirtschaftlich ungebunden Verein ist die Position daher eindeutig: Wenn nicht heute radikale Korrekturen stattfinden, so werden wir die Situation noch in 100 Jahren vor uns herschieben. Nicht das Chaos einer Restrukturierung der Verantwortungsbereiche ist das Problem, sondern die gegenwärtigen nebulösen Verantwortungsbereiche und das Fortbestehen der Katastrophe. Um diese Strukturen zu beseitigen und Kriminalität zu verhindern, brauchen wir daher nicht nur eine Meldepflicht, sondern müssen mit der bisherigen Politik der Verschlimmbesserung noch radikaler brechen. Das heißt: Wir brauchen eine Anzeigenpflicht. Institutionen und Arbeitgeber würden folglich in die Pflicht genommen werden und müssten sich eindeutige Strategien für ihr Handeln überlegen, denn andernfalls machen sie sich strafbar. Weil sexualisierte Gewalt nicht allein im Verborgenen stattfindet, sondern oftmals viele Mitwisser hat, besteht die berechtigte Hoffnung, dass sich mit einer Anzeigenpflicht grundsätzlich Änderung einstellt. Anstatt also das Problem noch Jahrhunderte vor uns herzuschieben, müssen wir das entstehende Chaos zunächst in Kauf nehmen, um klar einzusehen, was in Deutschland tatsächlich der Fall ist. Unsere Kinder sind vielfach sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Die entstehenden Mehrkosten für die Umwälzung muss ein Sozialstaat, der für das Gerechte eintritt, in Kauf nehmen, denn allein so bekommen gerade die Mitglieder unserer Gesellschaft, die sich selbst nicht wehren können, eine Chance auf freie Entwicklung der Persönlichkeit. Alternativen zu diesem Anspruch gibt es nicht.
•Versicherungspflicht der Institutionen
An dieser Stelle denken wir bei netzwerkB darüber hinaus auch eine Versicherungspflicht derartiger Institutionen an, um die Sicherheit der Kinder auch monetär verpflichtend und messbar zu machen. Diese Versicherungspflicht besteht bereits in den USA, hat es aber wegen der vielen Versäumnisse im Umgang mit sexualisierter Gewalt in Deutschland noch nicht gegeben.
Konsequenzen der Anzeigenpflicht
Mit der Einführung einer Anzeigenpflicht sind verschiedene Konsequenzen verbunden. Viele Formen der Vertuschung, wie wir es über viele Jahrzehnte erlebt haben, werden der Vergangenheit angehören. Letztlich aber würde eine derart grundlegende und fortwährende Restrukturierung auch bedeuten, dass mittelfristig Opferschutzorganisationen ihre Aufgabenbereiche verlieren, was zugleich ihre Legitimation gefährdet. Wenn Betroffene sogleich von den Tätern befreit werden und somit Therapien schnell greifen können, wird es auch nach und nach weniger Tätigkeitsfelder für diese Vereine geben.
netzwerkB will sich abschaffen
Es ist ein soziales Dilemma, dass sobald Opferschutzorgansiationen entstehen, diese im Kampf um Gelder ihre Positionen oftmals kontraproduktiv verteidigen müssen. So bedingen soziale Strukturen, dass grundlegende Strukturreformen ausbleiben. Der eigentliche Skandal aber ist nicht, dass eine fortwährende Debatte um die Opferschutzorganisationen besteht, sondern dass es Opferschutzorganisationen überhaupt geben muss. Ziel einer Opferschutzorganisation kann daher nicht ihr Bestand sein, sondern ursprüngliches Ziel einer Opferschutzorganisation muss sein, dass es sie irgendwann nicht mehr gibt. Die Probleme müssen nicht symptomatisch behandelt werden, wie es nach gegenwärtiger Gesetzeslage geschehen soll, sondern müssen ihrem Grund nach gelöst werden. Jene Herangehensweise verlangt aber auch radikal nicht allein den eigenen Posten zu verteidigen. Aus diesem Grund bewahrt sich netzwerkB seine finanzielle Unabhängigkeit und tritt vor allem dafür ein, dass es uns in 50 Jahren nicht mehr gibt. Die Abschaffung der Verjährungsfristen und die Einführung einer Anzeigenpflicht sind die ersten Schritte dorthin.
Helfen Sie mit bei der Abschaffung von netzwerkB, treten Sie unserem Verein bei oder bewerben Sie sich bei uns als ehrenamtlicher Mitarbeiter. E-Mail hierzu bitte an info@netzwerkB.org
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•Entschädigung
•Verjährungsfristen
•Gesetzentwurf Verjährungsfristen aufheben
•Rückwirkungsverbot
•Engagement
•Bundeskinderschutzgesetz
•Mythos der Vergebung
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