Neue Fakten auf dem Runden Tisch
14.06.2009
Gremium zu Missbrauch von Heimkindern tagt zum dritten Mal
Bonn - Die Tagesordnung klingt eher langweilig: Juristische Fragen und Datenschutz-Aspekte sollen behandelt werden, wenn der Runde Tisch Heimkinder am Montag und Dienstag in Berlin hinter verschlossenen Türen zum dritten Mal zusammentritt. Doch das Gremium unter dem Vorsitz der früheren Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer (Bündnisgrüne) wird sich mit einer Reihe neuer Fakten auseinandersetzen müssen.
Seit Februar befasst sich das vom Bundestag eingesetzte Gremium mit einem dunklen Kapitel westdeutscher Nachkriegsgeschichte: Der Vorwurf lautet, dass viele der mehr als 800.000 in den 1950er und 60er Jahren in staatlichen und kirchlichen Heimen untergebrachten Kinder und Jugendlichen brutalen Erziehungsmethoden, Zwangsarbeit und auch sexuellen Übergriffen ausgesetzt waren. Stockschläge, erniedrigende Strafen wie Fliesenschrubben mit der Zahnbürste oder das Einsperren in fensterlose Räume: Es geht um die Frage, wieweit es sich um bedauerliche Fälle individuellen Versagens oder ein unmenschliches Erziehungssystem handelte. Die beiden großen Kirchen haben Übergriffe öffentlich bedauert. Die katholische Kirche vertritt jedoch die Position, dass es sich nicht um systematische Verfehlungen handele.
Die Frage der Entschädigung
Mittlerweile hat der Verein ehemaliger Heimkinder (VEH) Forderungen auf den Tisch gelegt. Die Mitgliederversammlung verlangte Anfang Juni die Einrichtung eines Entschädigungsfonds von 25 Milliarden Euro. Zusätzlich will der Verband einen rentenversicherungsrechtlichen Ausgleich für Zwangsarbeiten sowie eine verbesserte Behandlung der Traumata, unter denen viele ehemalige Heimkinder litten. Offen ist, ob diese Forderungen jetzt schon auf den Runden Tisch kommen: Vollmer hatte mehrfach gemahnt, die Frage einer Entschädigung könne erst am Ende der auf zwei Jahre angelegten Arbeit entschieden werden.
Möglicherweise hat ein Anfang Juni ergangenes Urteil des Bundesverfassungsgerichts Einfluss auf die Entschädigungsfrage: In einem Beschluss zur Entschädigung von DDR-Heimkindern haben die Karlsruher Richter hervorgehoben, dass Freiheitsentzug und Verletzungen der Menschenwürde auch dann rehabilitiert werden können, wenn sie außerhalb eines Strafverfahrens verhängt wurden.
Ein Vertreter des VEH erklärte daraufhin, die westdeutschen Heimkinder sähen sich in ihren Ansprüchen "auf ganzer Linie" bestätigt. Das Verfassungsgericht habe auch das häufig gebrachte Argument vom Tisch gewischt, die Misshandlungen seien nur zeittypisch strenge Erziehungsmethoden gewesen.
"Endstation Freistatt"
Ein Licht auf die Heimerziehung - zumindest in einer konkreten Einrichtung - wirft auch eine Mitte Mai veröffentlichte wissenschaftliche Untersuchung über das Heim der evangelischen Diakonie in Freistatt südlich von Bremen. Unter dem Titel "Endstation Freistatt" untersuchten zwei Historiker der Kirchlichen Hochschule in Wuppertal rund 7.000 Akten und führten Interviews mit Betroffenen und Erziehern. Beschrieben wird ein System, das von Gewalt, Einschüchterung und Angst geprägt war. Die Zöglinge mussten von morgens bis abends in schweren Kettenhosen Torf abbauen.
Die Tageszeitung "Die Welt" zitiert den Präsidenten des Diakonischen Werks, Dieter Kottnik, mit den Worten, er habe sich nicht vorstellen können, "dass wir so etwas in unserer Geschichte der Diakonie mitschleppen". Und mit Blick auf die bisherige Position der Kirchen: "Früher habe ich von Einzelschicksalen gesprochen. Heute weiß ich, dass dies eine unzulässige Bagatellisierung gewesen ist."
Wachsam dürften die Vertreter des Runden Tisches auch die aktuellen Ereignisse in Irland verfolgen. Der im Mai veröffentlichte Ryan Report belegt, dass über Jahrzehnte hinweg mehr als 2.000 Kinder in kirchlichen Einrichtungen in Irland misshandelt, geschlagen oder sexuell missbraucht wurden. Die Studie wirft Kirche und Staat in Irland vor, die Augen vor den Zuständen verschlossen zu haben. Die katholische Kirche hat so einen massiven Glaubwürdigkeitsverlust erlitten.
Von Christoph Arens (KNA)
14.06.2009
Gremium zu Missbrauch von Heimkindern tagt zum dritten Mal
Bonn - Die Tagesordnung klingt eher langweilig: Juristische Fragen und Datenschutz-Aspekte sollen behandelt werden, wenn der Runde Tisch Heimkinder am Montag und Dienstag in Berlin hinter verschlossenen Türen zum dritten Mal zusammentritt. Doch das Gremium unter dem Vorsitz der früheren Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer (Bündnisgrüne) wird sich mit einer Reihe neuer Fakten auseinandersetzen müssen.
Seit Februar befasst sich das vom Bundestag eingesetzte Gremium mit einem dunklen Kapitel westdeutscher Nachkriegsgeschichte: Der Vorwurf lautet, dass viele der mehr als 800.000 in den 1950er und 60er Jahren in staatlichen und kirchlichen Heimen untergebrachten Kinder und Jugendlichen brutalen Erziehungsmethoden, Zwangsarbeit und auch sexuellen Übergriffen ausgesetzt waren. Stockschläge, erniedrigende Strafen wie Fliesenschrubben mit der Zahnbürste oder das Einsperren in fensterlose Räume: Es geht um die Frage, wieweit es sich um bedauerliche Fälle individuellen Versagens oder ein unmenschliches Erziehungssystem handelte. Die beiden großen Kirchen haben Übergriffe öffentlich bedauert. Die katholische Kirche vertritt jedoch die Position, dass es sich nicht um systematische Verfehlungen handele.
Die Frage der Entschädigung
Mittlerweile hat der Verein ehemaliger Heimkinder (VEH) Forderungen auf den Tisch gelegt. Die Mitgliederversammlung verlangte Anfang Juni die Einrichtung eines Entschädigungsfonds von 25 Milliarden Euro. Zusätzlich will der Verband einen rentenversicherungsrechtlichen Ausgleich für Zwangsarbeiten sowie eine verbesserte Behandlung der Traumata, unter denen viele ehemalige Heimkinder litten. Offen ist, ob diese Forderungen jetzt schon auf den Runden Tisch kommen: Vollmer hatte mehrfach gemahnt, die Frage einer Entschädigung könne erst am Ende der auf zwei Jahre angelegten Arbeit entschieden werden.
Möglicherweise hat ein Anfang Juni ergangenes Urteil des Bundesverfassungsgerichts Einfluss auf die Entschädigungsfrage: In einem Beschluss zur Entschädigung von DDR-Heimkindern haben die Karlsruher Richter hervorgehoben, dass Freiheitsentzug und Verletzungen der Menschenwürde auch dann rehabilitiert werden können, wenn sie außerhalb eines Strafverfahrens verhängt wurden.
Ein Vertreter des VEH erklärte daraufhin, die westdeutschen Heimkinder sähen sich in ihren Ansprüchen "auf ganzer Linie" bestätigt. Das Verfassungsgericht habe auch das häufig gebrachte Argument vom Tisch gewischt, die Misshandlungen seien nur zeittypisch strenge Erziehungsmethoden gewesen.
"Endstation Freistatt"
Ein Licht auf die Heimerziehung - zumindest in einer konkreten Einrichtung - wirft auch eine Mitte Mai veröffentlichte wissenschaftliche Untersuchung über das Heim der evangelischen Diakonie in Freistatt südlich von Bremen. Unter dem Titel "Endstation Freistatt" untersuchten zwei Historiker der Kirchlichen Hochschule in Wuppertal rund 7.000 Akten und führten Interviews mit Betroffenen und Erziehern. Beschrieben wird ein System, das von Gewalt, Einschüchterung und Angst geprägt war. Die Zöglinge mussten von morgens bis abends in schweren Kettenhosen Torf abbauen.
Die Tageszeitung "Die Welt" zitiert den Präsidenten des Diakonischen Werks, Dieter Kottnik, mit den Worten, er habe sich nicht vorstellen können, "dass wir so etwas in unserer Geschichte der Diakonie mitschleppen". Und mit Blick auf die bisherige Position der Kirchen: "Früher habe ich von Einzelschicksalen gesprochen. Heute weiß ich, dass dies eine unzulässige Bagatellisierung gewesen ist."
Wachsam dürften die Vertreter des Runden Tisches auch die aktuellen Ereignisse in Irland verfolgen. Der im Mai veröffentlichte Ryan Report belegt, dass über Jahrzehnte hinweg mehr als 2.000 Kinder in kirchlichen Einrichtungen in Irland misshandelt, geschlagen oder sexuell missbraucht wurden. Die Studie wirft Kirche und Staat in Irland vor, die Augen vor den Zuständen verschlossen zu haben. Die katholische Kirche hat so einen massiven Glaubwürdigkeitsverlust erlitten.
Von Christoph Arens (KNA)
"Größtmögliche Transparenz" bei Missbrauch
Zollitsch bekräftigt Willen der Kirche zur Aufklärung
Frankfurt - Vor der dritten Sitzung des Runden Tisches zum Thema Heimkinder hat der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, den Willen zur Aufklärung früherer Missstände in kirchlichen Heimen bekräftigt. Die katholische Kirche setze sich "mit aller Kraft für größtmögliche Transparenz ein bezüglich der Heimerziehung in der Nachkriegszeit", schreibt der Freiburger Erzbischof in einem Beitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (Montag). Zollitsch kündigte an, er wolle sich mit Opfern zu einem persönlichen Gespräch treffen. Der vom Bundestag eingesetzte "Runde Tisch Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren" tagt am Montag und Dienstag in Berlin.
In der Nachkriegszeit "gab es - neben Mitarbeitern, die den Auftrag der Nächstenliebe erfüllt haben - auch solche, die ihre Pflichten verletzt haben oder schuldig geworden sind", so Zollitsch. "Diese Erkenntnis ist für uns schmerzvoll". Allerdings deute einiges darauf hin, dass die Zahl schwerer Missbrauchsfälle "im katholischen Umfeld eher gering" sei und im "unteren dreistelligen Bereich" liege.
Unterstüztung bei Aufklärung
Nach Angaben des Freiburger Erzbischofs haben die Bischöfe katholische Einrichtungen wiederholt dazu angehalten, frühere Heimkinder bei der Aufklärung ihrer Lebensgeschichte zu unterstützen, etwa durch die Öffnung von Unterlagen. Erst kürzlich sei dazu ein erneutes Schreiben an die Träger gegangen. Zudem finanziere die Bischofskonferenz ein Forschungsprojekt mit, dass Vergehen gegen Heimkinder in kirchlichen Einrichtungen untersucht.
Der Runde Tisch hatte sich Mitte Februar konstituiert. Seitdem forderte der Verein ehemaliger Heimkinder (VEH) wiederholt Staat und Kirchen zu Entschädigungszahlungen auf. Am Wochenende brachte er erneut eine Summe von 25 Milliarden Euro ins Gespräch. Das Gremium besteht aus 20 Personen, darunter 3 Mitglieder des Vereins ehemaliger Heimkinder und je ein Vertreter der großen Kirchen sowie von Caritas und Diakonie, die Träger vieler Heime waren.
domradio - 16.06.2009
15.6.2009
Erzbischof Robert Zollitsch vor der dritten Sitzung des Runden Tisches zum Thema Heimkinder
Vor der dritten Sitzung des Runden Tisches zum Thema Heimkinder hat der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, den Willen zur Aufklärung früherer Missstände in kirchlichen Heimen bekräftigt. Die katholische Kirche setze sich "mit aller Kraft für größtmögliche Transparenz ein bezüglich der Heimerziehung in der Nachkriegszeit", schreibt der Freiburger Erzbischof in einem Beitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung".
Zollitsch kündigte an, er wolle sich mit Opfern zu einem persönlichen Gespräch treffen. Der vom Bundestag eingesetzte „Runde Tisch Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren“ tagt am Montag und Dienstag in Berlin.
In der Nachkriegszeit „gab es - neben Mitarbeitern, die den Auftrag der Nächstenliebe erfüllt haben - auch solche, die ihre Pflichten verletzt haben oder schuldig geworden sind“, so Zollitsch. „Diese Erkenntnis ist für uns schmerzvoll“. Allerdings deute einiges darauf hin, dass die Zahl schwerer Missbrauchsfälle „im katholischen Umfeld eher gering“ sei und im „unteren dreistelligen Bereich“ liege.
Nach Angaben des Freiburger Erzbischofs haben die Bischöfe katholische Einrichtungen wiederholt dazu angehalten, frühere Heimkinder bei der Aufklärung ihrer Lebensgeschichte zu unterstützen, etwa durch die Öffnung von Unterlagen. Erst kürzlich sei dazu ein erneutes Schreiben an die Träger gegangen. Zudem finanziere die Bischofskonferenz ein Forschungsprojekt mit, dass Vergehen gegen Heimkinder in kirchlichen Einrichtungen untersucht.
Der Runde Tisch hatte sich Mitte Februar konstituiert. Seitdem forderte der Verein ehemaliger Heimkinder (VEH) wiederholt Staat und Kirchen zu Entschädigungszahlungen auf. Am Wochenende brachte er erneut eine Summe von 25 Milliarden Euro ins Gespräch. Das Gremium besteht aus 20 Personen, darunter 3 Mitglieder des Vereins ehemaliger Heimkinder und je ein Vertreter der großen Kirchen sowie von Caritas und Diakonie, die Träger vieler Heime waren.
(kna)
(kapo)
(kapo)
Geen opmerkingen:
Een reactie posten